Donnerstag, 6. Oktober 2016
Veränderungen
Sonntag, 2. IX. 16, wechselnd:
Schreibtisch: Schreibe mich mit Korrespondenz zu Betriebskosten und dem unseligen Bußgeldbescheid warm.
Mein Beweisfoto finde ich sonderbarerweise nicht, also muss ich ein anderes nehmen. Hoffe, sie glauben mir.
Kopiere die letzten Reformbühnenaufzeichnungen und mache mich ans Frühstückvorbereiten.
Angesichts der zu schreibenden Geschichte für die Reformbühne muss ich große Lustlosigkeit feststellen.
Hole sinnloserweise die Rikscha aus dem Depot, nur um in der Mutter Courage Pelmeni zu essen, ein Weizenbier zu trinken, Zeitung zu lesen, die klingt wie bei Helmut Schmidt: “Sorge um die Deutsche Bank“, und mich vor der Heimarbeit zu drücken, die mir doch eigentlich Spaß macht.
15.09 Uhr weiter. Nachdem ich die Geschichte für die Reformbühne fertig habe, lade ich noch verschiedene Alben zu meiner Graffiti-Fahrt hoch.
Verspüre mittelstarke Sinnlosigkeitsgefühle danach, wahrscheinlich fehlt mir heute das Rikschafahren.
Aber ich kann mich dazu nicht aufraffen, dann schon lieber hier sitzen, in meiner Wohnung auf und ab tigern und rauchen.
Und natürlich meine geliebten leichten Büroarbeiten.
(Schreibtisch, 6. X. 16:) Mal wieder über 30 Zuschauer bei der Reformbühne, wenn auch nicht viele über. Bin froh über den Abend zwischen Freunden und netten Leuten. Die ersten drei Texte einschließlich meiner Leviathan-Geschichte floppen, erst mit Andreas Gläser rockts.
Die Veranstaltung ist vergleichweise schwach, zu viele Texte sind nur mäßig heiter, dafür besonders lang.
Zwei Rikscha-Passagiere, Frauen aus Süddeutschland, beehren uns, mal sehen, was sie von uns halten. Sie fanden, stellt sich heraus, die Reformbühne viel besser als das Kantinenlesen, bei dem sie gestern waren.
Über den Lustmolch sollte ich mal was schreiben, rät mir Heiko, da gäbe es Interesse in seiner Szene.
(Schreibtisch, 4. X. 16:) Die Surfpoeten sind aus dem Mauersegler rausgeworfen worden, am kommenden Mittwoch fällts aus und sie besprechen sich in der BAIZ.
Cäsar taucht auf, frage ihn:
„Gibts schon eine Planung für Piradio?“ Er fragt aggressiv und vorwurfvoll zurück:
„Machst Du das?“
(Schreibtisch, 6. X. 16:) Die Nacht zu Deutschlands Einheit verbringe ich standesgemäß mit meinem „Lieblings Buch“, so steht es auf dem genähten Schutzumschlag, „Dem Zauberberg“, immer noch SECHSTES KAPITEL Veränderungen, beginnend auf S. 490, bin auf S. 521 und der Satz lautet:
„Joachim fragte nicht; aber sollte jemand aus unserer Mitte sich an ihm kein Beispiel nehmen und die Frage aufwerfen, so ist allgemein darauf hinzuweisen, wieviel Stoff und Anlaß zu geistigem Austausch vorhanden ist zwischen Männern und Kameraden, deren Grundanschauungen idealistisches Gepräge tragen und von denen der eine auf seinem Bildungwege dazu gelangt ist, die Materie als den Sündenfall des Geistes, als eine schlimme Reizwucherung derselben aufzufassen, während der andere, als Arzt, den sekundären Charakter organischer Krankheit zu lehren gewohnt ist.“
Vermute, dass solche Sätze von den Pilzen kommen, S. 518, Pilze, „diese üppigen und phantastischen Schattengeschöpfe des organischen Lebens, fleischlich von Natur, dem Tiereich sehr nahestend - Produkte tierischen Stoffwechsels, Eiweiß, Glykogen, animalische Stärke also, fanden sich in ihrem Aufbau.“ Und nicht nur das.
Prompt muss Castorp in Dr. Krokowskis analytische Grube.
Dieser Bleistift ist ooch Scheiße.

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Montag, 15. Februar 2016
Ewigkeitssuppe
Mittwoch, 27. I. 16, bedeckt:
(Suratthani, Tapee Hotel, 31. I. 16:) "Ewigkeitssuppe"
oder
Der Tag, an dem mich der buddhistische Affe angriff.
T: Radle durch Mitte und sehe einige Bücherkisten stehen und gehe sie durch, ein einer Goethe-Ausgabe von 1908 steht mit zittriger Handschrift an eine Frau gerichtet der Dank, dass sie trotz ihres hochschwangeren Zustandes gekommen ist. Unterschrift: Max Halbe 1913. Dieses Buch muss der Mensch, der dann geboren ist, sein ganzes leben aufbewahrt haben. Sehe noch sehr gute Bücher zur Berliner Geschichte, die ich schon zu Hase habe und kann unter Aufbietung sämtlicher Willenskräfte widerstehen, sie mitzunehmen. Hole Karl Naukauf von einem Plattenbau ab, er ist als alter Mann geschminkt und verkleidet, einen 70jährigen sollte er spielen. Im Nebenraum hat Bernd Oeljeschläger eine Ladenausstellung, es stellt sich heraus, dass sie sich kennen, Bernd hat sogar Songs von karl auf einem Stick, die er eben noch gut hätte gebrauchen können. Die Plattenbauten in Mauernähe sind von außen liebevoll gestaltet, Plakate und Collagen, ein Block ist entkernt, so dass eine riesige Mehrzweckhalle entstanden ist. Hier wollte bei Mauerfall niemand wohnen, so dass viel leer stand.

Erwachen im Nanaburi Hotel in Chumpon, das in der Mehrheit von Thais frequentiert wird.
Schrift des Tages ist die verspielte Hägtor von Pierre Sebastian Wieland von 2013, die eine kalligrafische Federschrift nachahmt.
Zum Frühstück gehen wir aber ins Fame, wo ich auch einen Motorroller miete. Bin zuerst etwas verwirrt, weil der Scooter keine Kupplung hat, aber die braucht er auch nicht, wenn man den Gang einlegt, passiert noch gar nichts, erst wenn man Gas gibt, fährt er los.
Nach einer Probefahrt fühle ich mich der Technik und dem Linksverkehr gewachsen und wir kommen auch problemlos die 30 Kilometer gen Norden durch Pathio und zum Affenkloster, zwei Kilometer dahinter.
Am Tempel provoziere ich einen der Schlankaffen, indem ich die Banane, mit der ich ihn füttern will, festhalte, damit Sib uns beide aufs Bild bekommt. Das hätte ich besser sein gelassen, denn damit habe ich nicht gerechnet, dass der Heilige Affe in dem buddhistischen Kloster mir Hast-Du-nicht-gesehen! wütend auf den Kopf springt und kratzt. Hoffentlich ist mir das eine Lehre! Es handelt sich um einen Südlichen Brillenlangur (Trachypithecus obscurus), einen Primaten aus der Gruppe der Schlankaffen (Presbytini). (A?)
Immerhin kann Sib ein verwackeltes Bild davon schießen und die weitere Fütterung verläuft ohne Zwischenfälle.
Eine friedliche Stunde im Kloster an den Felshöhlen, Hunde, Affen, Vögel, Glocken und Schellen sowie Verkehrslärm von der Hauptstraße. Läute die Tempelglocken und hoffe, es bedeutet nicht Freibier fürs ganze Kloster. Die Mönche hier machen sich nicht tot und lassen ansonsten den Herrgott einen guten Mann sein.
Um mir die Augen nicht noch mehr zu entzünden als von der Hinfahrt, kaufe ich in Pathio eine Sonnenbrille, denn auch die verschiedenen Einschläge von Insekten und Steinchen im Gesicht kamen immer näher. (Sofa 15. II. 16:) Es handelt sich um eine Leon von Eyewear, 199 Baht und UV SURE!
"UV400 Protection MODEL IN USA"
30 Kilometer vom Kloster Wat Khow Jedee von Pathio zurück an der Küste nach Chumpon, aber erst landen wir in einer zauberhaften Hafenstadt namens Pak Nam, im Wasser auf Stelzen stehend mit dünnen Betonstegen dazwischen. Wir lassen den Roller stehen und wandern zum Hafen, blaue Glasteigtaschen mit zäher Nusscreme-Füllung.
Fast im Dunkeln zurück.
Dorade im Salzmantel auf dem Nachtmarkt, ein Gedicht!
Danach im U-Coffee in der Kromlung Road ein grüner Tee nach Cappuccino-Art fein aufgeschäumt, ein cremiger, unbeschreiblicher Genuss.
Nachdem ich Kommentare zum Foto von dem Affenangriff gelikt und auch einige E-Post beantwortet sowie geduscht habe, nach Mitternacht weiter im fünften Kapitel, "Ewigkeitssuppe und plötzliche Klarheit":
Der nun bettlägerige Castorp liegt ausgerechnet im Totenbett der Amerikanerin und wer-weiß-wem noch alles. Vetter Ziemßen berichtet ihm von Dr. Krokowskis Vortrag, in dem dieser die Liebe mit der Einführung von Morphium und Kokain verglichen habe. Damit ist Mann nahe bei Burroughs "Love is the strongest drug".

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Freitag, 29. Januar 2016
Die magische Sieben im Zauberberg
Dienstag, 26. I. 16, stürmisch & bedeckt:
Chumphon, Nanaburi Hotel: T: Treffe mich mit dem Präsidenten der USA oder bin es selber im Erdgeschoss eines Hochhauses. Ein Attentat auf ihn ist geplant, die Täter bohren von unten ein Loch, durch das sie schießen wollen.

Schrift von heute ist die Sindelar von Stefan Willerstorfer, 1914, eine zeitgemäße und platzsparende Brotschrift mit robusten Serifen.
Nähern uns der hiesigen Zeitzone und schaffen es, schon gegen 10 aufzustehen. Gebratener Reis mit Ananas zum Frühstück.
Im Sammeltaxi vom Strand nach Chumphon eine schnatternde Gruppe Engländer, deren Haut von ihren Körpern herunterlappt.
Das erste Hotel gibts nicht mehr, das zweite ist voll, das dritte eine Müllkippe.
Chumphon, Coffee Bar 99: Hier trinken wir unseren besten Cappuccino in Thailand, so far, und ich tippe weiter Notizen für den Zauberblog ab.
Chumphon, Nanaburi Hotel: Das vierte ist wunderbar, ein hauptsächlich von Thais frequentiertes Haus mit dem schönen Namen Nanaburi.
Laufen durch die Stadt, Mopeds sind ausgebucht, außerdem hat inzwischen das Affenkloster zu. Ölmassage in einem Geschäft, dessen brauner Spitz ein rosa Hemd trägt.
Zur Markthalle, in der kaum noch etwas geöffnet ist. Eine schmale Brücke über den Taphao in das Kloster Wat Subannimit. Dass die buddhistischen Mönche hier so viel rauchen im Gegensatz zu den normalen Thailändern.
Über die Mueang Chumphon- und Phorramin Mankha Road, durch die Markthalle, die inzwischen hauptsächlich von Ratten bevölkert ist.
Der Nachtmarkt enttäuschend, nur eher hässliche Klamotten. Das traumhafte Essen hier an jeder Ecke, Dessert, ins Hotel.
Aktualisiere den Zauberblog und finde eine phänomenale Seite zum Thema:
http://home.arcor.de/amitl/zauberbszenenNeu.htm
Ein Impressum finde ich nicht, wer hat sich diese Fleißarbeit nur gemacht?
Erfahre von der Seite viel über die magische Zahl 7 im Zauberberg, der aus 7 Kapiteln besteht und an dem Thomas Mann 7 Jahre geschrieben hat:
1907 beginnt Castorps Fahrt nach Davos, 7 Jahre bleibt er im Sanatorium, 7 Minuten muss man Fieber messen, 7 Monate wird er dagewesen sein, wenn es in der Faschingsnacht passiert. Da bin ich gespannt, wahrscheinlich Sex! Madame Chauchat hat Zimmer 7, 7 Tische sind im Speisesaal, im 7. Kapitel wird Peeperkorn auftauchen, auch auf Gerhard Hauptmann bin ich in froher Erwartung. Der Name Settem-brini. Am 7. Tag seines Aufenthalts wird Onkel James Tienappel "Fersengeld" geben.
Etwas absurd finde ich die Zahlenmagie, wenn dann noch erwähnt wird, dass die Quersumme von Castorps Zimmernummer genauso 7 ergibt wie die der Anzahl der Abschnitte des Romans, dass Castorp im 7. Abschnitt des 6. Kapitels in Schneegefahr gerät und dass folgende Namen 7 Buchstaben haben: Behrens, Castorp, Clawdia, Joachim, Ziemßen. Man könnte mit entsprechender Geduld auch noch alle anderen Wörter mit 7 Buchstaben aufzählen, aber ich habe dazu keine Lust.
Ähnliche Auflistungen wird man zweifellos auch mit den meisten anderen Zahlen anstellen können.
Erfahre von meiner Liebsten aus dem Badezimmer, dass die Rechten sich darüber beschweren, dass sie immer gleich in die rechte Ecke gestellt werden, nur weil sie mal was Rechtes sagen. Recht so!
Dass für den iranischen Präsidenten, der zu Besuch im Vatikan ist, die ganzen nackten Statuen der greisen Päpste verhüllt werden müssen. Auch gibt es keinen Wein zum Abendbrot, da muss Franziskus also vorglühen.
Auf die Nerven geht mir hier inzwischen das Fehlen einer eigenen Uhr, habe keine Lust mehr, Sib andauernd nach der Zeit zu fragen.

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